Udo Groenewold erhält "Blickwechselpreis"

Der ehemalige Pastor der Gemeinde Leer, Udo Groenewold, ist am Sonntag, 12. August für sein Engagement im christlich-jüdischen Dialog geehrt worden. Er erhielt in Hannover den „Blickwechselpreis 2018“ des Vereins „Begegnung Christen und Juden Niedersachsen“. Groenewold habe in der Kirche und der Gesellschaft die Frage des Verhältnisses und der Begegnung von Juden und Christen beharrlich und unermüdlich zur Sprache gebracht.

In seiner Laudatio würdigte Kirchenpräsident Martin Heimbucher den 82-jährigen Theologen aus Leer als einen der Väter des Blickwechsels im Verhältnis zwischen Juden und Christen in der Evangelisch-reformierten Kirche nach den Erfahrungen des Holocaust. Groenewold sei einer, denen es zu verdanken sei, dass „wir neben den Juden stehen und ein lebendiges und geschwisterliches Gespräch miteinander führen.“ Seit dem Blickwechsel im Verhältnis zwischen den beiden Religionen stünden die Christen nicht mehr als Besserwisser vor den Juden.

Udo Groenewold war von 1994 bis 1999 Beauftragter der Evangelisch-reformierten Kirche für Kirche und Israel. Er zähle zu den Theologen, die in seiner Kirche die Frage nach einer Theologie nach Auschwitz gestellt hätten. Groenewold habe in der Kirche und der Gesellschaft die Frage des Verhältnisses und der Begegnung von Juden und Christen beharrlich und unermüdlich zur Sprache gebracht. „Die Begegnung mit jüdischen Überlebenden und schließlich die große Bedeutung des Staates Israel für die Shoa-Überlebenden haben sein Wirken bestimmt“, heißt es in der Begründung des Vereins.

Der „Blickwechselpreis“ würdigt seit 2007 Menschen aus Niedersachsen für ihren Einsatz im Gespräch der beiden Religionen. Der 1982 gegründete Verein „Begegnung Christen und Juden Niedersachsen“ will nach eigenen Angaben den Dialog zwischen Christen und Juden fördern, Judenfeindschaft und Antisemitismus in Kirche und Gesellschaft bekämpfen und zur Versöhnung zwischen Juden, Christen und Muslimen beitragen. Der Verein zählt derzeit rund 2.500 Mitglieder.

Udo Groenewold war von 1977 bis 1994 Pastor der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Leer, viele Jahre war er im Vorstand der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Ostfriesland (CJZ) und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Ostfriesland. In beiden Gremien ist er bis heute aktiv.

19. Juni 2018
Ulf Preuß, Pressesprecher

 

Foto: Jan Penning

 

Portrait des Blickwechsel-Preisträgers 2018

Christin oder Christ zu sein, das erfordert auch den Austausch mit dem Judentum. Diese Einsicht des christlich-jüdischen Dialoges ist heute für die evangelisch-reformierte Kirche in Deutschland und andere reformatorische Kirchen selbstverständlich. Ein Wegbereiter für einen respektvollen Dialog mit dem Judentum auf Augenhöhe ist der heute 82-jährige Udo Groenewold aus Leer in Ostfriesland. Für sein langjähriges und innovatives Engagement erhielt der profilierte Theologe und reformierte Pastor im Ruhestand am Sonntag, 12. August, den Blickwechselpreis des Vereins Begegnung – Christen und Juden. Niedersachsen e.V. (BCJ).

Groenewold habe der reformierten Kirche in Deutschland „zu einem Blickwechsel“ verholfen, würdigte Martin Heimbucher, Kirchenpräsident der Evangelisch-reformierten Kirche in Deutschland, die Verdienste des Preisträgers in seiner Laudatio. „Zu einem Blickwechsel fordert sein Zeugnis uns alle auch heute auf“, sagte der Kirchenpräsident. Er bezog das zum Beispiel auf die Wahrnehmung der Hebräischen Bibel nicht als „Vorläufer oder gar bloßen Stichwortgeber für das Geschehen um Jesus Christus“. Christen müssten um ihres „eigenen Glaubens willen, damit wir uns selber verstehen, Augen und Ohren hinwenden zu denen, die schon vor uns aus der Schrift gelebt haben.“ Heimbucher dankte Groenewold für sein „klares, wegweisendes Zeugnis“. Dazu gehört auch das eindeutige Bekenntnis des Preisträgers zum Existenzrecht Israels gehört.

„Udo Groenewold ist ein Theologe und Pastor, für den die Erneuerung von Theologie im Angesicht des Judentums, sowie eine glaubwürdige christliche Praxis im Kern seiner christlichen und beruflichen Identität standen und stehen. Dies hat er beharrlich in seine Gemeinde, seine Kirche und die Gesellschaft eingebracht“, begründete die BCJ-Vorsitzende Karin Haufler-Musiol die Auszeichnung.

Groenewold appellierte anlässlich der Preisverleihung zur Zurückhaltung bei Kritik am Staat Israel. „Nach dem, was Deutsche dem jüdischen Volk angetan haben, können wir mit Kritik ruhig 200 Jahre warten“, sagte der Preisträger.

Als Groenewold Mitte der sechziger Jahre in Emden ins Pfarramt startete, da dachte der Theologe noch ganz anders. „Pastoren sollen nur über neutestamentliche Texte predigen“, lautete seine Auffassung. Das Alte Testament, die hebräische Bibel, verstand er eher als Vorgeschichte des Neuen Testaments. Davon hat ihn seine kürzlich verstorbene Frau Martha „gründlich kuriert“, sagt Groenewold rückblickend. Die Theologin und Ehefrau eröffnete ihm durch ihre hebräischen Sprachkenntnisse und ihre Wertschätzung der hebräischen Bibel die Einsicht in die Bedeutung dieses Buches für den christlichen Glauben.

Bald darauf reisten beide nach Israel und erlebten nach dem Holocaust und kurz vor dem Sechstagekrieg erstmals jüdisches Leben im Neuaufbau, ein Meilenstein für das spätere Engagement Groenewolds. Ein weiteres prägendes Ereignis war für den Pastor die Beteiligung an der Tagung der Synode der evangelisch-reformierten Kirche mit einer Hauptversammlung des reformierten Bundes 1982 in Aurich. Beides öffnete nach der Evangelischen Kirche im Rheinland auch in der reformierten Kirche den Weg zum Dialog, zum Sprechen „mit den Juden statt über die Juden“, so Groenewold. Im gleichen Jahr noch wurden 60 Überlebende des Holocausts nach Emden eingeladen, ein wegweisendes Ereignis auch für den inzwischen Leeraner Pastor Groenewold. Gleich mehrmals wurde in den folgenden rund 20 Jahren solche Treffen auch in Leer durchgeführt.

Neben den Meilensteinen waren es Begegnungen und Kontakte mit besonderen Persönlichkeiten, die Groenewold in seinem Engagement vorangebracht haben. Die Rabbiner Nathan Peter Levinson, Dr. Henry Brandt oder Dr. Joel Berger und Dr. Benjamin Barsilay sind einige Beispiele dafür, aber auch Bremens Bürgermeister Hans Koschnick. Es sind auch solche Beziehungen aus denen heraus sich Groenewolds Engagement im Vorstand der Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit – zeitweilig als Vorsitzender –, in der Deutsch-israelischen Gesellschaft Ostfriesland und in Ausschüssen des reformierten Bundes zum christlich-jüdischen Dialog erklärt.

Das derzeit in Deutschland und Europa obenauf liegende Thema „Flucht“ hat der Pfarrerssohn Groenewold als Kind am eigenen Leibe erlebt. Ende April 1945 floh seine Mutter Charlotte mit ihm und seinen drei Geschwistern aus Groenewolds Geburtsort, dem Hugenottendorf Battin im Kreis Prenzlau, via Mecklenburg nach Flensburg. Dort wurden die Flüchtlinge aufgrund ihrer großen Zahl in der Nacht zum 8. Mai über die Grenze nach Dänemark gebracht. Der Pastor, Soldat und Vater Claus Groenewold brachte seine Familie danach illegal auf einem Minensuchbot nach Sylt, von wo aus die Familie nach Leer gelangte.

In seinem Theologiestudium in Göttingen wurde Groenewold noch mit dem ehemaligen Wortführer der Deutschen Christen Emanuel Hirsch konfrontiert, in Basel aber auch mit dem gern als „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“ bezeichneten, Schweizer reformierten Theologen Karl Barth.  Zu Groenewolds Verdiensten gehört schließlich auch sein Einsatz für eine würdige Gedenkstätte für die aus Leer vertriebenen und im Holocaust ermordeten Jüdinnen und Juden.

Von Stefan Heinze

 

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